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Andrzej Nowacki

Andrzej Nowacki

ANDRZEJ NOWACKI wurde am 15. Oktober 1953 in Rabka, Polen, geboren. Seine frühe Jugend verbrachte er in Krakau. Die ersten Kunsterfahrungen machte er im Bereich Innengestaltung und Kunstrestaurierung. Nach seiner Ausreise aus Polen 1977 studierte er skandinavische Sprachen an der Universität Göteborg sowie Kunstgeschichte und Germanistik in Innsbruck.
Anfang der 1980er Jahre begann seine langjährige Bekanntschaft mit dem Klassiker des polnischen Konstruktivismus, Henryk Stażewski, dessen Schaffen besonders die frühen Werke Nowackis beeinflusste.
Seit Mitte der 1990er Jahre arbeitete Nowacki mit Heinz Teufel zusammen, dem Sammler und Inhaber einer der renommiertesten Galerie für konkrete Kunst in Europa mit Standorten u.a. in Köln und später in Berlin. Hier begegnete er den Arbeiten von Max Bill, Josef Albers, Antonio Calderara und Bridget Riley, was ihm zum Anstoß wurde, nach eigenen Ideen für die Umsetzung von Streifenreliefs zu suchen.
1994 erhielt Nowacki ein privates Stipendium in West Orange, N.Y. In den Jahren 1997, 1998, 2000 und 2001 beteiligte er sich an den von der polnischen Kunstkritikerin Bożena Kowalska organisierten Workshops „unter dem Zeichen der Geometrie“ in Okuninka sowie an den anschließenden Ausstellungen im Kreismuseum von Radom. 2001 wurde ihm ein Jahresstipendium von der New Yorker Pollock-Krasner Foundation gewährt. 2005 reiste er nach Osaka, um seine erste Ausstellung in Japan vorzubereiten. Das Jahr 2006 verbrachte er in seinem Atelier auf Anna Maria Island, Florida, USA, wo er an Reliefs in Auftrag von Seth Jason Beitler Gallery in Miami arbeitete.
2015 bezog Nowacki ein weiträumiges Atelier auf dem ehemaligen Schwerindustriegelände in Ostrava Dolní Vítkovice. Hier begann der Künstler mehrteilige und großformatige Reliefs zu realisieren.
Andrzej Nowacki lebt und arbeitet in Berlin.

Expositions:
1994 Lederman Fine Art Gallery, New York, USA
2000 Galerie Heinz Teufel, Berlin, Niemcy • Germany
2005 KISSHO Fine Art Gallery, Osaka, Japany

2006 Seth Jason Beitler Gallery, Miami, USA
2008 Milan Dobeš Múzeum, Bratysława, Słowacja • Bratislava, Slowakei

2009 Muzeum Narodowe Szczecin, Polska • Nationalmuseum Stettin, Polen
2011 Concrete art (Sztuka konkretna), Państwowa Galeria Sztuki, Sopot, Polska • National Gallery of Art, Sopot, Poland

2017 Konkrete Anliegen. Sammlung Teufel, Kunstmuseum Stuttgart,
Niemcy • Germany

2017 "The magic of square", National Gallery of Art, Sopot, Poland

Und 50 andere individual und group expositions

Hubertus Gaßner
Beziehungsmuster

Kunst entsteht aus Kunst – diese produktionsästhetische und kunsthistorische Annahme, oder nennen wir sie besser eine Forderung oder einen Glaubenssatz der Künstlerinnen und Künstler, hat zweifellos für die Genese eines individuellen Werkes, aber auch für die Entwicklung einer künstlerischen Bewegung oder ganzer Stilepoche ihre Berechtigung, mit den notwendigen Einschränkungen und cum grano salis. Denn eine Geschichte der Formen und Farben ist ohne das Ausdruckswollen oder gar Ausdrucksverlangen der Künstler, unterschiedlich in den verschiedenen Kunstepochen, nicht vorzustellen. Dies gilt selbst für sich so anti-subjektiv und anti-expressiv artikulierende Richtungen wie den Konstruktivismus der 20er und 30er Jahre sowie die Op Art, die Minimal Art oder die Primary Structures der geometrischen Farbfeldmalerei der 60er und 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts.

Dergestalt entfaltet sich nicht nur das Œuvre Andrzej Nowackis im Dialog und in der Auseinandersetzung mit Vorläufern und Vorbildern, auch seine Werkreihen gehen mit erstaunlicher Konsequenz auseinander hervor. Seine Künstlerbiographie lässt er mit dem Jahr 1984 beginnen, dem Jahr, in dem er sich entschließt, sein Leben ganz der Malerei zu widmen. Die Anfänge und das erste Schaffensjahrzehnt stehen noch ganz im Zeichen des Nestors der geometrischen Abstraktion in Polen, des Malers Henryk Stażewski, den Nowacki bereits 1981 und 1982 in Warschau besuchte, kurz bevor er selbst den Weg des künstlerischen Schaffens eingeschlagen hat. Nach ersten Versuchen konstruktivistischer Malerei, die begleitet wird von Zeichnungen und Pastellen, experimentiert er zum ersten Mal 1988 mit den plastischen Formen des Reliefs, das bis zum heutigen Tage der entscheidende und neben den tagebuchartig angelegten Zeichnungen ausschließliche Bildträger für den Künstler bleiben sollte. Wie Stażewski komponiert der Künstler in den 1980er Jahren seine starkfarbigen Reliefs vor allem aus Quadratflächen, gradlinigen Stäben und leeren Rahmen, aber auch Kreisscheiben und Zylinderformen finden Verwendung. Wie bei seinem Vorbild werden diese geometrischen Elemente auf einen farbig bemalten Grund montiert, sie erzeugen jedoch im Unterschied zu Stażewskis ausgewogenen Kompositionen die Vorstellung zumeist heftiger dynamischer Bewegungen durch asymmetrische Verschiebungen der geometrischen Bildelemente, durch ihre Anordnung entlang steigender oder fallender Diagonalen, durch scheinbar rollende Kreisscheiben, angeschnittene oder gekippte Quadratflächen, durch das Aufbrechen oder Anschneiden der Rahmengevierte, durch auf- oder absteigende Reihungen rechtwinkliger Bildelemente sowie durch die starken Kontraste zwischen intensiven Farbtönen.

Seit 1995 übernimmt die Farbe die führende Rolle als Ausdrucksmittel. Auch hierin bleiben die polnischen Wurzeln des Künstlers erkennbar: eine lyrische Emotionalität, die für das Gefühlsleben und die Imagination der Slawen so charakteristisch ist, verleiht den Farbakkorden in Dur oder Moll ihre unverwechselbare gedämpfte Stimmung, die sich zur Melancholie vertiefen oder zur Euphorie aufschwingen kann, wobei ein sattes warmes Rot, Orange oder Gelb glühende Akzente im verschatteten Halbdunkel der kalten Farbtöne zu setzen vermag.

Um 1998 beschäftigt sich Nowacki intensiv mit Werken von Max Bill und Josef Albers, vor allem aber setzt er sich mit den Bildern von Antonio Calderara und Bridget Riley auseinander. Aus dieser Beschäftigung mit dem italienischen Maler und der britischen Malerin entstehen seit der Jahrtausendwende die ersten Reliefs mit vornehmlich vertikalen Kompositionen aus rhythmischen Reihungen senkrechter Stäbe, während die bisher dominierenden Quadratfelder und rechtwinkligen Rahmen sowohl in ihrer Anzahl als auch in ihrer Ausdehnung minimiert werden. Die explosive Dynamik der früheren Kompositionen beruhigt sich, und an die Stelle der visuellen Geschichten von den Turbulenzen und Abenteuern der Quadrate und Kreise treten symmetrisch komponierte Bilder von ikonenhafter Statuarik und klassisch anmutender Ausgewogenheit, worin auch noch jede kleinste Abweichung von der dominanten Symmetrie durch Form- und Farbwerte ausbalanciert wird. Man wird erinnert an die ausgewogenen Kompositionen des späten Suprematismus von Malewitsch und Ilja Tschaschnik, die in den 1920er Jahren nach einer bewegten Phase der geometrischen Abstraktion zu einer neuen Ruhe und Einfachheit durch die Symmetrie und die Reduktion der Formenvielfalt gefunden haben. Auch für diese Umorientierung der beiden Russen gab die Ikonenmalerei und die Suche nach spirituellen Ausdrucksformen den Ausschlag.

Bis heute ist das Quadrat für Nowacki die verbindliche Form für die Grundfläche der Reliefs geblieben. Ihre äußeren Standardmaße betragen bis ca. 2005 45 x 45 cm oder 90 x 90 cm und danach 64 x 64 cm, 99 x 99 cm oder 100 x 100 cm. Die seit dem Ende der 1990er Jahre entstandenen Reliefs arbeiten nur noch mit der vertikalen Linie der Stäbe und dem Quadrat, wobei sie exakt parallel zu den Außenkanten der Grundfläche ausgerichtet sind und keine Schrägstellung oder Kippbewegung mehr zugelassen wird. So entsteht ein offenes Gerüst aus explizit vertikalen und implizit horizontalen Linien, Konfigurationen mit unendlichen Variationsmöglichkeiten, die ebenso komplex wie evident wirken und ungeachtet ihrer Klarheit im Aufbau und der Transparenz der Struktur ein Geheimnis bewahren, das sich den rational nur schwer fassbaren, aber emotional umso stärker wirkenden Korrespondenzen und Kontrasten zwischen den Farbtönen ebenso verdankt wie den leichten Abweichungen von den symmetrischen Grundformen, dem spannungsvollen Verhältnis von offenen und geschlossenen, eingrenzenden und ins Endlose strebenden Formen – visuelle Beziehungsmuster, die vor allem unser Gefühl ansprechen, da sie eine Resonanz in unseren eigenen Lebenserfahrungen finden.

Die auf starke Formspannungen und heftige Bewegungseindrücke angelegten Formbeziehungen in den Bildreliefs der 1990er Jahre scheinen sich beruhigt zu haben, das Streben nach Vereinfachung der Bildelemente Stab und Quadrat sowie die Sammlung und Ausbalancierung der Kräfte stehen nun im Vordergrund. 2000 führt Nowacki einen weiteren Kompositionsfaktor in seine Bildreliefs ein, der zusätzlich Ruhe in das Bildfeld bringt und die vormals nach vielen Seiten gerichteten Bewegungsverläufe der Farbformen auf einen Bezugspunkt fokussiert, von dem aus sich die optisch evozierten Bewegungen wellenartig nach beiden Seiten hin ausbreiten: die vertikale Mittelachse des quadratischen Bildkörpers, um die sämtliche Bildelemente achsensymmetrisch angeordnet sind. Die gleichförmige Ausrichtung aller Bildelemente an der Mittelsenkrechten und den vertikalen Begrenzungslinien der Bildtafel wirkt geradezu kontemplativ. Dennoch bleibt die weiterhin im Bildfeld evozierte Bewegung unübersehbar, auch wenn sie jetzt eher wie ein inneres Vibrieren der vertikalen Streifenfelder wirkt oder durch im Bildraum schwebende Farbformen wahrgenommen wird. Bewegung suggeriert auch der wechselnde Eindruck zwischen einem horizontalen Sich-Ausbreiten und Sich-Zusammenziehen der gereihten Vertikalen, was an den rhythmischen Wechsel von Systole und Diastole des pulsierenden Herzens erinnert. In Streifen gestaffelte Farbverläufe rufen außerdem die Vorstellung von Bewegungen hervor, die von rechts nach links oder von links nach rechts führen – und dies meist in achsensymmetrischen Spiegelungen.

Mit der Beruhigung der vormals heftigen Bewegungseindrücke und der Reduktion der Formelemente auf das Quadratfeld und die vertikale Linie in Form hölzerner Stege geht auch eine Beschränkung der Farbpalette einher: Die großen, monochromen und intensiv leuchtenden Farbflächen, so charakteristisch für die Reliefs der 1980er und 1990er Jahre, werden schrittweise von den senkrecht gestellten Holzleisten als Farbträger ersetzt, ihre drei sichtbaren Seiten sind zumeist mit drei unterschiedlichen Farbtönen bemalt. An die Stelle der durch gesättigte Farben leuchtenden Kreisscheiben und Rechtecke treten die schmalen Stege, auf denen die Farbe zwar ihre Leuchtkraft an sich behält, sich aber kaum in der Fläche ausbreiten kann. Noch einen Schritt weiter und wir sind bei den reinen Streifenbildern nach der Jahrtausendwende, die keine farbigen Flächenformen mehr kennen. Selbst die kolorierte Grundfläche des Bildträgers wird für das Auge nur noch segmentiert in schmalste Farbstreifen – als Intervalle zwischen den auf ihr gereihten Stegen sichtbar.

Da diese Weiterentwicklung von Andrzej Nowackis Formenvokabular und Farbgestaltung wesentliche Impulse von den Streifenbildern erfahren hat, die von der englischen Malerin Bridget Riley seit 1980 geschaffen worden sind, sei hier ein Vergleich mit ihren Gemälden gestattet, um die Eigenarten der gestreiften Reliefs verständlicher machen zu können. Wie es ein Missverständnis wäre, diese großformatigen Gemälde mit farbintensiven Streifen in rhythmischer Reihung der sognannten Op Art zuzurechnen, so wenig trifft diese Etikettierung auf Nowackis Streifenbilder zu. Denn beide in Streifen angelegte Werke sind gleich weit entfernt von den optisch aggressiven, das Auge des Betrachters nicht nur irritierenden sondern schmerzlich reizenden Gemälden und Reliefs der Op Art. Von einer Überforderung des Sehens durch die Stimulierung von physiologisch bedingten Fehlwahrnehmungen des menschlichen Auges, wie es sich die Op Art und auch noch die frühen Bilder von Riley zum Ziel gesetzt haben, kann bei ihren späteren Streifenbildern ebenso wenig die Rede sein wie bei Nowackis gestreiften Reliefs. Weder intendieren sie die Provokation physiologisch-visueller Reaktionen des menschlichen Wahrnehmungsapparates noch überfordern ihre Streifenkompositionen das Sehen. Auch schließen sie psychologische oder besser atmosphärische Assoziationen und Reaktionen der Betrachter keineswegs aus, so wie sich dies die programmatische Beschränkung der Op Artisten auf die reine visuelle Wahrnehmung ohne kognitive oder emotionale Beimischung zum Ziel gesetzt hatte. Anstelle subjektiver und symbolhafter Zeichen forderten sie eine nach rationalen Regeln vorgehende Bildprogrammierung, die jedem, auch dem Laien, auf dem Weg reiner visueller Anschauung, die keines Vorwissens und keiner Erläuterung bedarf, zugänglich sein sollte.

Weitere Übereinstimmungen zeigen sich. In den späten 1970er Jahren entscheidet sich Bridget Riley für die ausschließliche Verwendung von senkrechten Farbbändern, Andrzej Nowacki trifft diese radikale Entscheidung für seine Werkserien, die einige Jahre nach der Jahrtausendwende entstehen und deren aktuellste Fassungen in dieser Ausstellung zu sehen sind. Beide Künstler reduzieren ihr Formenrepertoire auf vertikale Streifen gleicher Breite in paralleler Anordnung, die mit gleichförmigem Rapport die gesamte Leinwand bzw. Holztafel vollständig bedecken. Diese schmalen Bänder bilden die Träger einer begrenzten Anzahl von Farben, deren Auswahl innerhalb der einzelnen Werkgruppen eine gewisse Konstanz aufweist und von Gemälde zu Gemälde bzw. von Relief zu Relief den Grad ihrer Sättigung, der Brechung ihrer Leuchtkraft und ihre Trübung hin zu Zwischentönen verändern können, jedoch niemals innerhalb eines Bildes, dessen Farben stets homogen bleiben. So wie Riley vier bis höchstens sieben unterschiedliche Farben für ein Bild wählt, setzt auch Nowacki seit ca. 2000 eine vergleichbare Anzahl von Farben innerhalb eines Reliefs ein. Vergleichbar ist auch die Zahl der Farbstreifen, die Riley in ihren Gemälden der 1980er Jahre und der Künstler in seinen Reliefs seit ca. 2006 verwendet. Meistens zählen wir mehr als 100 solcher Streifen. In vergleichbarer Weise bündeln die beiden Künstler auch ihre Farben in Untergruppen von zwei bis drei Farben, wobei diese Bündel in horizontalen Reihungen wiederholt werden, solange bis eine andere Zweiklang- oder Dreiklang-Gruppe sie ablöst.

Bei beiden Künstlern finden wir außerdem neben den lotrechten Vertikalen auch leicht schräg in die Bildfläche gesetzte Farbbänder, die in beiden Fällen die Senkrechten wellenförmig modifizieren können: Es sind Wellen, die bei Nowacki aufgrund der verwendeten Holzstäbe eher kantiger ausfallen, während sie sich bei Riley in weichen Kurven biegen. Im Flächenrapport gereiht, vermitteln diese gewellten Streifen der Reliefs den Eindruck weicher Übergänge – ein Sfumato, das sich wie ein Schleier über die strenge Taktung der Stabreihen legt oder sie untermalt und das Auge trunken macht. Bei aller Formstrenge und Repetition der Grundstruktur kommt hierdurch eine zweite optische Ordnung ins Spiel, die mit den gleichen Bildelementen hantiert, allein ihre Richtung minimal aus der senkrechten Achse verschiebend. Die vielfache Wiederholung dieser kaum merklichen Abweichung vom Vertikalschema unterlegt den strengen Rhythmus der vertikalen Staffelungen mit einer weicheren Melodie.

Abgesehen von dieser Verwandtschaft der All-over-Struktur der vertikalen Streifenbilder beider Künstler lassen sich aber auch entscheidende Unterschiede erkennen, die nicht nur in der Verschiedenheit von Gemälde hier und Relief dort liegen, sondern auch begründet sind in der unterschiedlichen Auffassung und Handhabung des Verhältnisses von Farbe und Struktur, in der unterschiedlichen Behandlung des Materials und Produktionsprozesses und in der jeweils eigenen Semantik der abstrakten, nur scheinbar ausschließlich den Sehnerv reizenden Farbfelder.
Durch die Reduktion ihrer Bildstruktur auf vertikale Streifen von ein bis zwei Zentimetern Breite erzeugt Riley eine radikale Homogenität und Redundanz der Form, wodurch die Aufmerksamkeit des Betrachters umso mehr auf die Farben gelenkt wird. Diese homogene Struktur der streifigen Reihung vereinfacht die Form des Bildaufbaus ihrer Gemälde derart konsequent, dass man von einer Befreiung der Farbe nicht nur von allen gegenständlichen Verweisen, sondern auch von allen formalen Bezügen sprechen könnte. Colore hat sich endgültig vom Disegno emanzipiert, um ihr autonomes Eigenleben zu führen. Die „einfache variable Wahrnehmungen von Farben ist das Thema, und zwar in bewusster, immer weiter verfolgter Distanzierung vom Gegenständlichen und so auch von der Gegenständlichkeit des Bildbaus, der die abnehmende Hierarchisierung seiner Elemente zu dienen hat, um jedem kognitiven Sehen entgegenzuwirken. Anstelle eines erkennenden und vornehmlich auf Chiaroscuro-Werte gegründeten Sehens treten die unmittelbare visuelle Wirkung von reinen Farbenergien und in deren Folge farbige Vision.“

So weit ist Andrzej Nowacki nicht gegangen. Zwar hat auch er sich von allen Verweisen auf Gegenständliches verabschiedet, doch die Gegenständlichkeit des Bildbaus spielt auch in seinen Streifenreliefs eine wesentliche Rolle. Die Stege und die Intervalle zwischen ihnen werden stets so bemalt, dass sich voneinander unterscheidbare, durch die Farbe abgesetzte Linienfelder innerhalb der quadratischen Grundplatte ergeben. Damit wird in jedem Fall auch das Prinzip der Komposition beibehalten, da diese Binnenfelder zueinander in formal und farblich gestaltete Beziehungen gesetzt werden. Es gibt weiterhin ein Oben und ein Unten und damit die Empfindung des Wirkens der Schwerkraft, die unser körperlich-gegenständliches Empfinden anspricht, sowie eine formal und farblich unterscheidbare rechte und linke Seite im Bild. Die beiden Seiten werden in den Reliefs stets in besonderer Weise akzentuiert, da ihre vertikale Mittelachse immer durch die Anordnung der Formen und Farben hervorgehoben wird – eine Akzentuierung, die so bei Riley nicht zu finden ist, ja von ihr ganz bewusst ausgeschlossen wurde. So vermeidet sie auch jede horizontale Linie, die etwa an Naturformen wie den Horizont in einer Landschaft denken lässt, während in zahlreichen Reliefgruppen von Nowacki durchaus indirekte oder imaginäre horizontale Linien wahrnehmbar sind. Sie ergeben sich dort, wo vertikal angelegte Streifenfelder durch die Farben ihrer Stege oder durch deren gegeneinander versetzte Reihung sich optisch zu horizontalen Bändern verselbstständigen, die übereinander gestaffelt sind. So z.B. in jüngsten Arbeiten wie Komposition mit Schwarz 18.11.15 (S. XX), Komposition mit B. 04.12.15 (S. XX), Komposition mit Rot 27.8.16 (S. XX) und Komposition mit Weiß 18.10.16 (S. XX).

Durch diese Bezüge zum Körper des Betrachters und zur bildexternen Außenwelt wie z.B. der Landschaft zeichnen sich die Streifenbilder des Polen im Vergleich zu den Gemälden der Engländerin durch einen wesentlich höheren Grad an Sinnlichkeit aus. Verstärkt wird dieser Eindruck natürlich auch durch die dreidimensionale Körperlichkeit und das fühlbare physische Gewicht der aus Holz gefertigten Reliefs wie auch durch die Handhabung des Materials, die die Spuren der Handarbeit bei der Herstellung der Holztafeln nicht auslöscht.

Zur Rileys Bereinigung der Farbtöne von allen nicht farbeigenen Wahrnehmungsassoziationen gehört ebenso, dass ihre Malerei auf jegliche Peinture verzichtet, ja die individuelle Handschrift der Künstlerin ganz praktisch ausschließt, indem sie ihre Bilder technisch so perfekt wie möglich von Assistenten malen lässt, damit kein Pinselstrich zu sehen ist, der von der alleinigen Wahrnehmung der Farben und ihrer Interdependenzen ablenken könnte. Im Vergleich mit dieser Sublimierung der Körpersinne nehmen sich die aus Holz gebauten Reliefs wie reine Natur aus. Obwohl vollständig bemalt, bleiben die Schwere, die Wärme und das Organische des Materials weiterhin sichtbar und fühlbar, doch auch die aufgetragene Farbe wirkt durch ihre starke Pigmenthaltigkeit, ihre stumpfe Oberflächen und ihren hohen Sättigungsgrad wie eine stoffliche Substanz, die den Tastsinn ebenso anspricht wie den Sehsinn. Der wenn auch subtile farbige Anstrich der gebauten Reliefs betont ihre Körperlichkeit und Stofflichkeit; Farbe und Material bilden gleichsam den Gegenpol zu Rileys „Eliminierung der Handschrift zur völligen Reinigung des Zu-Sehenden von jedem Gemachtsein“, das „von der reinen Farbwahrnehmung ablenken könnte“ . Zu Recht hat Katarina Türr mit Blick auf Bridget Rileys Bilder auf die Polarität zwischen ihrer entnaturalisierten Struktur und der von der Malerin „intendierten Bildwirkung“ hingewiesen, „welche auf eine paranaturalistische Farbwahrnehmung der gesamten Bilderscheinung zielt“ . Denn im Gegensatz zur Beschränkung der Op Art und weiterer Spielarten der geometrischen Abstraktion hält die Künstlerin wenig von der Reduktion der Wirkung ihrer Bilder auf das reine Sehen, unter bewusster Ausschaltung aller Assoziationen, die auf die Gefühlswelt des Betrachters, seine Körperempfindungen oder Naturphänomene verweisen könnten. So verleiht die Malerin ihren Streifenbildern häufig Titel, die eine Beziehung der Gemälde zu atmosphärischen Eindrücken in der Natur herstellen – Assoziationen, die beim Betrachter alleine durch die von ihr gewählten Farbkombinationen ausgelöst werden sollen. Auch wenn Andrzej Nowacki seit 1996 auf vergleichbare poetische oder narrative Bildtitel verzichtet, lassen seine gestreiften Reliefs – vielleicht noch mehr als die Streifenbilder von Riley – solche Assoziationen zu, ja sie regen Vorstellungen und Empfindungen an, die weit die über die pure Seherfahrung hinausgehen.

Der Assoziationsbereich, den sie eröffnen, liegt dabei weniger in der Wahrnehmung von Stimmungen, die von Naturphänomenen und Naturerscheinungen ausgelöst werden, als im komplexen Bereich zwischenmenschlicher Beziehungen. Um dieses untergründige Thema anzudeuten, hat der Künstler in den letzten Jahren einigen seiner Werkgruppen und einzelnen Reliefs wieder Titel verliehen, die solche Beziehungsmuster im formalen, aber auch im übertragenen Sinne intersubjektiver Beziehungen andeuten. Während Lyrische Komposition 22.05.16 (S. XX) als einteiliges Werk konzipiert ist, in dem eine Dreierkonstellation auf ihre Korrespondenzen und Kontraste, ihre Harmonien und Konflikte hin untersucht wird, betonen vor allem die zweiteiligen Tafeln wie z.B. Neue unsymmetrische Komposition 17.06.16 (S. XX), Neue Komposition 05.05.16 (S. XX) und Unsymmetrische Komposition I 25./26.12.15 (S. XX) die zwischenmenschlichen Beziehungen als ihr eigentliches Thema. Vor allem die neunteilige Komposition neu zusammengestellt 14.06.16 (S. XX) macht deutlich, wieviel Energien diese Beziehungsarbeit im künstlerischen und im zwischenmenschlichen Sinn bei einer derartigen Komplexität der Beziehungsmuster erfordert, welcher kommunikative Aufwand und wieviel Emotionen hineinfließen, um eine solche vielteilige Konstellation zum harmonischen Zusammenspiel zusammenzuführen.

Die Wohl stabile Komposition 20.02.16 (S. XX) deutet bereits im Titel den Zweifel an, dass die Harmonie, das glückliche Zusammenspiel jemals garantiert ist und sich für ewig eingestellt hat. Immer wieder muss sie erneut errungen werden – in der Kunst wie im Leben. Auf diese unumgängliche Notwendigkeit der steten Erneuerung verweisen nicht nur die in den erwähnten Titeln verwendeten Adjektive, sondern vor allem auch die Bildstruktur und die Farberscheinungen selbst. Ihre rhythmische Bewegtheit und das Oszillieren der Farben und Einzelformen zwischen Klarheit und Uneindeutigkeit, zwischen Präzision und Verschleierung weist jede momentane Wahrnehmung der Reliefs als eine transitorische aus, als einen visuell vermittelten Eindruck, der zugleich stabil und labil wirkt. Es scheint, als könne sich der momentane Eindruck jeden Moment ändern, und jede im Augenblick sichtbare Farb-Form-Konstellation verändert sich auch tatsächlich, wenn der Betrachter seine räumliche Position vor den Reliefs verändert. Denn die plastischen Stäbe, die das Bildfeld vollständig bedecken, tragen auf ihren jeweils drei Seiten immer eine andere Farbe, so dass bei der Bewegung des Betrachters vor dem Bild auch die zuvor verdeckten Farbseiten sichtbar werden und die zuerst sichtbaren verschwinden. Bei aller Stabilität der gebauten Bilder und ihrer ausgewogenen Kompositionen vermitteln diese Reliefs immer auch eine Flüchtigkeit und Vergänglichkeit des momentanen Erscheinungsbildes – wodurch die Empfindung ausgelöst wird, dass kaum festgehalten und bewahrt werden kann, was im Augenblick so harmonisch, geglückt und sicher scheint. Auch hier waltet ein melancholischer Grundton. Wohl auch deshalb erinnert die Farbgebung vieler Werke an ein letztes Glühen im Abendlicht, wenn sich bereits die dunklen Schatten der Nacht über die Welt zu legen beginnen. Die Assoziation mit feurigem Herbstlaub in finsteren Wäldern liegt bei manchen Farbkompositionen in Moll auch nicht fern.

Man ginge fehl in der Annahme, diese Wirkung der Werke würde sich dem Betrachter umso intensiver vermitteln, je expressiver sie vor Augen geführt würde. Intensität entsteht in der Kunst nicht notwendig aus Expressivität. Der Kunsthistoriker Wilhelm Worringer hat in seinem 1908 erschienenen Buch Abstraktion und Einfühlung begründet, warum der abstrakt geometrische Stil am Ursprung aller bildnerisch-gestalterischen Äußerungen der Menschheit stand, anders gesagt: „aus welchen psychischen Wurzeln diese unbedingte Hinneigung zur toten anorganischen Linie, zur Lebensabstraktion und Gesetzmäßigkeit zu erklären ist“. Den historischen „Ausgangspunkt des künstlerischen Prozesses“ bilden dem Autor zufolge nicht Formen der Nachahmung der sichtbaren Wirklichkeit in figurativen Darstellungen, sondern „die lineare Abstraktion, die zwar in einem gewissen Zusammenhang mit dem Naturvorbild steht, aber mit irgendwelchen Nachahmungstendenzen nichts zu tun hat“ – mit Nachahmungstendenzen, die Worringer unter dem Begriff der Einfühlung in die gegenständliche Wahrnehmungswirklichkeit fasst.

„Zum Linear-Anorganischen, jede Einfühlung Abweisenden drängen die ersten Anfänge ästhetischen Bedürfnisses“, weshalb der „geometrische Stil der erste Kunststil gewesen“ sei. Zu seiner Überraschung muss der Kunsthistoriker im Rückblick feststellen, dass dieser Stil der geometrischen Abstraktion mit der neuesten abstrakten Kunst just in dem Zeitraum um 1910 wieder zur Geltung kam, in dem er seine Abhandlung über die Ursprünge künstlerischen Gestaltens verfasste und publizierte. Im Untertitel nannte er seine Untersuchung einen Beitrag zur Stilpsychologie, weil er darin psychologisch zu begründen suchte, in welchem „jeweiligen psychischen Zustande des betreffenden Volkes […] seine künstlerischen Bedürfnisse es zur linear-anorganischen Abstraktion führen“ mussten. Für die Anfänge der geometrischen Abstraktion in der frühen Vorzeit des Menschen wusste er eine psychologisch argumentierende Begründung anzugeben: „Welches sind nun die psychischen Voraussetzungen des Abstraktionsdranges? Wir haben sie im Weltgefühl jener Völker, in ihrem psychischen Verhalten dem Kosmos gegenüber zu suchen.“ Der „Abstraktionsdrang“ sei „die Folge einer großen inneren Beunruhigung des Menschen durch die Erscheinungen der Außenwelt und korrespondiert in religiöser Beziehung mit einer stark transzendentalen Färbung aller Vorstellungen. Diesen Zustand möchten wir eine ungeheure geistige Raumscheu nennen. Wenn Tibull sagt: primum in mundo fecit deus timor, so lässt sich dieses selbe Angstgefühl auch als Wurzel des künstlerischen Schaffens annehmen“ , an dessen Beginn die geometrische Abstraktion stand.

Nicht nur Kandinsky und die anderen Maler des Blauen Reiters haben sich dieser Argumentation von Worringer nur zu gerne angeschlossen, als sie aufbrachen, mit der abstrakten Kunst einen grundsätzlichen Neuanfang zu wagen und auch theoretisch zu legitimieren. Kandinskys erste abstrakte Gemälde und Aquarelle, die in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg immer aufs Neue die Apokalypse beschwören, zeugen von dem „Angstgefühl“, das Worringer nicht allein in der Frühzeit der Menschen vorherrschen sieht. Auch für spätere Generationen abstrakt arbeitender Künstler war Worringers Begründung der Abstraktion eine Bestätigung ihres eigenen Tuns, und auch in Hinblick auf die nun mehr als 30jährige künstlerische Praxis von Andrzej Nowacki scheinen mir Worringers Überlegungen plausible Hinweise auf die psychischen Motive und semantischen Gehalte seiner Werke zu geben.

Das Jahr 1984 markiert den Beginn seiner bildnerischen Tätigkeit, eine Zeit, über die er im Rückblick sagt: „Ich hatte Angst. […] So entstand der Zyklus ‚Angst‘, und so kam ich auf Munch. Und auf die Möglichkeit, die eigene Angst zu festigen, zu beherrschen. Eine Angst lässt sich nicht aufheben, aber man kann versuchen, sie zu nennen. Man gewinnt damit die Oberhand und schaut der eigenen Angst in die Augen.“ Die Reliefs des Künstlers sind deshalb nicht Ausdruck dieser Lebensangst, sondern im Gegenteil Ausdruck ihrer Verarbeitung und zumindest momentanen Bewältigung im Schaffensakt. Denn Angst entsteht aus einem inneren Gefühlschaos. Zu ihm kann die Furcht vor einer „weiten, zusammenhanglosen, verwirrenden Welt der Erscheinungen“, von der Worringer angesichts einer chaotisch, undurchdringlich und deshalb bedrohlich erscheinenden Außenwelt spricht, noch verstärkend hinzukommen. Angesichts dieser Begründung der psychischen Entstehungsbedingungen der geometrischen Abstraktion aus einem existentiellen Angstgefühl kann es kaum mehr verwundern, dass die grundsätzlichen Formeigenschaften, mit denen Worringer diesen ersten Stil künstlerischen Bildens charakterisiert, den gleichen Gestaltungsprinzipien folgen, mit denen Nowacki seine Reliefs komponiert. Worringer führt vier grundlegende Gestaltungsfaktoren auf: die Linie, die Flächigkeit, verstanden als Vermeidung der Raumdarstellung, die Symmetrie und den Rhythmus. Hinzu kommt bei Nowacki noch die Farbe, die bei ihm eine ganz entscheidende Rolle spielt.

Das Primat der geraden Linie und der Flächigkeit leitet Worringer aus einer „Raumscheu“ ab, die wiederum in einem Angstgefühl ihre Ursache hat: „Wir stellen also den Satz auf: die einfache Linie und ihre Weiterbildung in rein geometrischer Gesetzmäßigkeit musste für den durch die Unklarheit und Verworrenheit der Erscheinungen beunruhigten Menschen die größte Beglückungsmöglichkeit darbieten. Denn hier ist der letzte Rest von Lebenszusammenhang und Lebensabhängigkeit getilgt, hier ist die höchste absolute Form, die reinste Abstraktion erreicht; hier ist Gesetz, ist Notwendigkeit, wo sonst überall die Willkür des Organischen herrscht.“ Das gleiche von Angst erfüllte Verhältnis zur Außenwelt ist ebenso Ursache für eine „strenge Unterdrückung der Raumdarstellung“, „weil es der Raum gerade ist, der die Dinge miteinander verbindet, der ihnen ihre Relativität im Weltbild gibt“. Demgegenüber sei es das „Urbedürfnis des Menschen, das sinnliche Objekt mittels der künstlerischen Darstellung von der Unklarheit zu befreien, die es durch seine Dreidimensionalität“ und Raumbezogenheit besitzt. Die in sich geschlossene und vollkommene, weil nach allen Seiten hin symmetrische Form des Quadrates, stellt eine zur höchsten Klarheit geläuterte Form dar, die sich als eine „vom Raum erlöste Einzelform“ von aller „Unklarheit und Verworrenheit der Erscheinung im Raum“ mit seinen perspektivischen Verzerrungen und so verschiedenartigen Ansichten ein und desselben Objektes befreit hat. Diese in sich abgeschlossene Autonomie des Quadrates scheint mir der eigentliche Grund, warum der Künstler bei allen seinen Reliefs stets diese Form für das Bildformat gewählt hat.

Auf dieser quadratischen Grundform aufbauend entfalten die Reliefs in höchstmöglicher Vielfalt ihrer Rhythmen die horizontale Reihung der farbig bemalten Stäbe, wobei die rhythmisierte Abfolge der Senkrechten so gut wie immer um eine, zwei oder drei Symmetrieachsen gruppiert ist – die manchmal stärker, manchmal zurückgenommener in Erscheinung treten. Ganz in Übereinstimmung mit diesem Befund heißt es in Abstraktion und Einfühlung: „Der nach den obersten Gesetzen von Symmetrie und Rhythmus streng aufgebaute geometrische Stil ist vom Standpunkt der Gesetzmäßigkeit aus der vollkommenste.“ Das „schönste Ziel“ dieses geometrischen Stils aber sei die Gestaltung der „Ruhe in der Bewegung“, einer Dialektik, die sich im Kunstwerk als ein „lebendiger Rhythmus oder rhythmische Lebendigkeit, in die unser Vitalgefühl mit allem Glück sich versenken kann,“ am vollkommensten verkörpert. Über die zentrale Bedeutung des Rhythmus in den Werken Nowackis habe ich bereits an anderer Stelle ausführlich geschrieben, deshalb hier nur so viel: „Andrzej Nowackis Reliefs aus den letzten Jahren beruhen auf zwei symmetrischen Grundstrukturen: der axialen Punktsymmetrie und der durch Reihungsmuster erzeugten Gruppensymmetrie. Beide symmetrische Formen rufen im Betrachter Empfindungen unterschiedlicher Rhythmusformen hervor: den bipolaren Rhythmus, der sich vom Mittelpunkt oder der Mittelachse aus durch die repetitiven Elemente nach beiden Seiten hin entfaltet, und den seriellen Rhythmus, der durch den Wechsel von Linien/Stäben und Intervallen eine vibrierende Verlaufsform von rechts nach links oder von links nach rechts bildet. Der Einsatz der Farbe verleiht diesen beiden rhythmischen Strukturen die Tonart in Dur oder Moll, die Melodie, die Stimmung und emotionale Tiefe, mit anderen Worten, den Glanz und das Leben. Ohne diesen Wechsel, die Konsonanzen und Dissonanzen der Farben, blieben die rhythmischen Felder der Reliefs kalte geometrische Strukturen. Erst das Zusammenwirken der vielfältigen rhythmischen Schwingungen mit dem vielgestaltigen Pulsieren der Farben erzeugt jenen Reichtum von Empfindungen und Gefühlslagen, die solche vibrierenden Bildfelder in uns zu evozieren vermögen.“

Ich möchte hier nicht diskutieren, ob Worringer die ersten Formen künstlerischer Betätigung des Menschen zutreffend beschreibt und ob er für ihre geometrisch abstrakte Gestalt die historisch adäquate Begründung mit dem von ihm konstatierten Angstgefühl gibt. Seine Beschreibung und psychohistorische Erklärung der geometrischen Abstraktion dienen mir lediglich als Erklärungsmodell für den Zusammenhang zwischen der Struktur und Farbigkeit von Nowackis Reliefs einerseits und ihrer Semantik andererseits – eine Ausdrucksqualität und Bedeutung der Werke, die nicht nur für die Anfänge der künstlerischen Tätigkeit von Andrzej Nowacki zutreffen, sondern bis zu den heutigen Arbeiten Geltung haben. Die erst kürzlich vollzogene Rückkehr zu sprechenden Titeln belegt diese Bedeutungshaltigkeit und Ausdruckskraft der nur auf den ersten Blick rein formalen Kompositionen ebenso wie die im letzten Jahr gegebenen Erläuterungen des Künstlers: „Die geometrische und nach kalkulierten Rhythmen geordnete Struktur der Reliefs mit ihren Stegen und Intervallen gibt mir die Sicherheit auch im psychologisch-emotionalen Bereich. Wenn ich nur eine Leinwand ohne die Widerstände des Materials vor mir hätte, würde ich explodieren. Die geometrische, mathematische und symmetrische Ordnung ist für mich das Rückgrat. Erst wenn ich die Maße und die Proportionen der Struktur sowie die Entsprechungsverhältnisse der Formen im Material fixiert habe, bin ich frei, die Farbe, das sind die Emotionen, fließen zu lassen. Die mathematisch exakt kalkulierte Anzahl der Stege und Intervalle, ihre Abmessungen und symmetrischen Gruppierungen, sind die Sicherheitsgurte bei einer Fahrt mit 300 km/h über die Autobahn.“

Lyotard, der Philosoph der Postmoderne, konstatierte in seiner 1980 auf Deutsch publizierten Abhandlung Die Malerei als Libido-Dispositiv, dass die Kunst von heute nicht mehr der Darstellung oder Kritik im herkömmlichen Sinne diene, sondern ein Transformator von Energie-Dispositiven sei, denen als einzige Regel gemeinsam ist, intensive Wirkung zu produzieren. Ganz in diesem Sinne stellen die Farbreliefs, die Nowacki immer als Malerei verstanden wissen wollte, nichts dar im Sinne von Worringers Einfühlungsbegriff. Sie sind von aller gegenständlichen Repräsentation befreite Sehangebote komplexer und dynamischer Art an den Betrachter, der bei genauerem Hinsehen jedoch in ihnen die „Spielfläche für libidinöse Intensitäten, Affekte, Leidenschaften“ erblicken und verstehen lernen wird. In dem harmonischen Zusammenspiel polarer Phänomene, von Struktur und Farbe, rhythmisch fließender Bewegung und strenger Symmetrie, körperlicher Materialität und immaterieller Intensität, Angstgefühl und Euphorie erleben wir, um es mit einem schönen, altmodischen Wort des Kunstpsychologen Theodor Lipps zu sagen, den „Beglückungswert“ von Andrzej Nowackis künstlerischem Werk. Oder, um es noch einmal mit Wilhelm Worringer auszudrücken, wobei die „Völker“ durch den „Künstler“ zu ersetzen wären: „Der Wert eines Kunstwerks, was wir seine Schönheit nennen, liegt allgemein gesprochen in seinen Beglückungswerten. Diese Beglückungswerte stehen natürlich in einem kausalen Verhältnis zu jenen psychischen Bedürfnissen, die sie befriedigen. […] Von dem verworrenen Zusammenhang und dem Wechselspiel der Außenwelterscheinungen gequält, beherrschte solche Völker ein ungeheures Ruhebedürfnis. Die Beglückungsmöglichkeit, die sie in der Kunst suchten, bestand nicht darin, sich in die Dinge der Außenwelt zu versenken, sich in ihnen zu genießen, sondern darin, das einzelne Ding der Außenwelt aus seiner Willkürlichkeit und scheinbaren Zufälligkeit herauszunehmen, es durch Annäherung an abstrakte Formen zu verewigen und auf diese Weise einen Ruhepunkt in der Erscheinungen Flucht zu finden.“ Als ein solches „einzelnes Ding“ wollen wir ein jedes der Reliefs des Künstlers betrachten und uns von ihm beglücken lassen.

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